- Die zeitliche und inhaltliche Beanspruchung durch übernommene Aufsichtsratsmandate ist deutlich angestiegen. Dabei spielt die Digitalisierung eine wichtige Rolle. Gleichzeitig führen große Unternehmensskandale vor Augen, dass die Haftungsrisiken für Aufsichtsräte bei Pflichtverletzungen mindestens ebenso stark zugenommen haben.
- Mehr als ein Drittel der Aufsichtsräte (35 Prozent) sind mittlerweile Frauen, die gesetzlich vorgeschriebene Frauenquote wird weitgehend erfüllt.
Frankfurt / München / Düsseldorf, 13. Januar 2021 – Das beherrschende Thema der vergangenen Jahre in den Aufsichtsräten war die seit 2016 gesetzlich vorgeschriebene Frauenquote. Spencer Stuart, eines der Top drei Executive-Search- und Leadership-Advisory-Unternehmen weltweit, analysiert mit dem „Board Index“, wie sich die Aufsichtsratsarbeit und die Governance in relevanten Unternehmen verändert und weiterentwickelt. Dazu untersucht Spencer Stuart weltweit und in Deutschland alle DAX-30-Unternehmen sowie 38 Unternehmen aus M-DAX, S-DAX und Tec-DAX nach fest definierten Kriterien. Aktuell zeigt sich: Bei der Erfüllung der Frauenquote sind die Unternehmen im Vergleich zu 2018 nochmals einen Schritt vorangekommen. Insgesamt stieg der Anteil von Frauen von 32 Prozent auf 35 Prozent aller Mandate weiter an. Damit erfüllen mittlerweile 90 Prozent der Unternehmen die gesetzliche Vorgabe.
Nur wenige Frauen sitzen dem Aufsichtsrat vor
Trotz dieser erfreulichen Entwicklung dominieren weiterhin eindeutig Männer die deutschen Aufsichtsgremien. Nur bei wenigen Unternehmen sind mehr Frauen im Aufsichtsrat als das Gesetz vorschreibt. Unter den untersuchten Unternehmen befinden sich zudem nur fünf mit einer Frau an der Aufsichtsratsspitze. „Die gesetzliche Frauenquote hat sich bei der Wahl des Aufsichtsratsvorsitzenden noch nicht stark ausgewirkt“, sagt Dr. Claudia Schütz, Mitglied der deutschen Board Practice von Spencer Stuart. „Wir gehen aber davon aus, dass sich dies in den kommenden Jahren mit der wachsenden Erfahrung weiblicher Aufsichtsräte ändern wird. Immerhin ist die Zahl der weiblichen Vorsitzenden im Vergleich zu 2018 bereits von drei auf fünf angestiegen.“ Im DAX-30 hat mit Henkel nur ein Unternehmen eine Frau an der Spitze des Aufsichtsgremiums.
Weniger Mitglieder, mehr Sitzungen und Ausschüsse
„Gleichzeitig sind insbesondere im längerfristigen Vergleich die Kontrollpflichten und Anforderungen an die Aufsichtsräte substanziell angestiegen“, sagt Ralf Landmann, Deutschland-Geschäftsführer von Spencer Stuart. Das lässt sich zum einen mit der Zahl der jährlichen Sitzungen belegen, die sich von durchschnittlich 4,6 in 2008 auf 7,1 in 2020 deutlich erhöht hat. Gleichzeitig hat sich die Größe der Aufsichtsräte seit 2010 von durchschnittlich 16 Personen auf 14 verringert. Die Kontrollarbeit verteilt sich also auf weniger Schultern. Und sie ist nicht geringer oder weniger anspruchsvoll geworden – ganz im Gegenteil. Es sind zahlreiche regelmäßige Treffen in verschiedenen Ausschüssen dazugekommen. Praktisch alle Unternehmen haben Sonderausschüsse eingeführt, im Schnitt sind es vier mit unterschiedlichen Funktionen und Sitzungszyklen. So erfordert etwa die Arbeit im Prüfungsausschuss, der den Jahresabschluss prüft sowie interne und externe Prüfungsberichte im Detail mit den Prüfern bespricht und für das Plenum fundiert vorbereitet, besondere Kenntnisse in Bilanzierungs- und Finanzfragen. Dringend geboten ist auch Branchen-/Sektor-Expertise.
Für einen Prüfungsausschuss stellen 97 Prozent der Aufsichtsräte Mitglieder ab. Ein Risiko-Komitee findet sich dagegen nur bei sieben Prozent der Unternehmen, und das sind ausnahmslos Finanzinstitute, die laut Kreditwesengesetz dazu verpflichtet sind. Fast die Hälfte aller untersuchten Unternehmen diskutiert zudem im Aufsichtsrat regelmäßig die Unternehmensstrategie, vor sechs Jahren waren solche Strategie-Meetings erst bei jedem dritten Unternehmen üblich.
Gremien werden digitaler
Um geeignete Aufsichtsräte zu finden, haben mittlerweile 93 Prozent der Unternehmen ein Anforderungsprofil für Aufsichtsräte veröffentlicht. Management-Erfahrung bleibt eine entscheidende Voraussetzung für die Berufung. Diese bringen immerhin 75 Prozent der Anteilseignervertreter im Aufsichtsrat mit. Daneben spielt Erfahrung in Finanz-Fragen eine herausragende Rolle, 56 Prozent erfüllen diese Anforderung, ein Anstieg im Vergleich zum Vorjahr mit 49 Prozent. Dagegen ging der Anteil der Aufsichtsräte, die über Branchenerfahrung verfügen, um zwei Prozentpunkte auf 41 Prozent leicht zurück. Technologie- beziehungsweise Digitalkompetenz ist weiterhin gesucht. Mittlerweile erfüllt nahezu ein Drittel der Aufsichtsräte diese wichtige Anforderung. „Die Digitalstrategie nicht nur zu verstehen, sondern sie kompetent zu hinterfragen und im Vergleich zu Wettbewerbern einzuordnen und zu bewerten – das wird eine immer wichtigere Aufgabe des Aufsichtsrats“, sagt Landmann.
Unternehmens- und Bilanzskandale verdeutlichen die Haftungsrisiken für Aufsichtsräte
Wie wichtig es ist, die Kontrollaufgabe gegenüber dem Vorstand sehr ernst zu nehmen, zeigen jüngste Ereignisse in Deutschland. Kommt es zu Unternehmensskandalen mit Bilanzfälschungen und sogar mutmaßlich kriminellen Handlungen von Vorständen, dann stellt sich schnell die Frage nach einer möglichen Mitverantwortung oder gar einer schuldhaften Pflichtverletzung der Aufsichtsräte. „Jeder einzelne Aufsichtsrat muss sich darüber im Klaren sein, dass es seine Aufgabe ist, den Vorstand zu beraten und zu kontrollieren, das interne Kontrollsystem zu prüfen, die Zahlen und die Strategie konstruktiv kritisch zu hinterfragen, um sich ein umfassendes und differenziertes Bild von der Lage Im Unternehmen zu verschaffen“, so Landmann. Vor diesem Hintergrund ist es erstaunlich, dass zwar alle Aufsichtsgremien im Board Index ihre Arbeit in der Regel einmal jährlich evaluieren lassen, aber nur 13 Prozent einen solchen Board Review von externen Experten durchführen lassen. „Externe Spezialisten können hier einen wichtigen Beitrag leisten, Defizite in der Kontrolle zu identifizieren und einen kritischen Blick auf die Qualität der Arbeit des Aufsichtsrats zu entwickeln“, meint Claudia Schütz.
Zu folgenden ausgewählten Themen stehen weitere detaillierte Informationen im „Board Index 2020 Deutschland“ zur Verfügung:
- Aufsichtsratsvergütung: Der starke Anstieg der Vorjahre ist abgeflacht.
- Anteil ausländischer Mitglieder im Aufsichtsrat: Steigt weiter an, bleibt aber sehr heterogen, Spanne reicht von null bis zu 30 Prozent auf der Anteilseignerseite
- Alter und Amtszeit von Aufsichtsräten: Immer mehr Unternehmen führen Altersobergrenzen ein.
- Ehemalige Mitglieder des Vorstands im Aufsichtsrat: Sind zumindest im Dax nicht mehr so häufig vertreten wie früher.
- Aufsichtsratsvorsitzender: Ist im Durchschnitt 65 Jahre alt, aber mit großer Streuung.
Den gesamten Spencer Stuart Board Index 2020 Deutschland finden Sie als Online-Version hier.
Zur Studie
Der Board Index ist eine Bestandsaufnahme der Tätigkeit von Boards in wichtigen Europäischen Ländern und den USA. In Deutschland erscheint er seit 18 Jahren im zweijährigen Rhythmus; die Ergebnisse werden regelmäßig in den Internationalen Zusammenhang gestellt. Seit 2012 wertet Spencer Stuart öffentlich zugängliche Daten von Unternehmen aus. Für den neusten Board Index 2020 wurden die Daten von 68 Gesellschaften erfasst. Das schließt alle DAX-30-Unternehmen sowie 38 aus dem M-DAX, S-DAX und Tec-DAX ein.
Über Spencer Stuart
Spencer Stuart ist seit der Gründung 1956 prägender Vordenker der Top-Executive-Search-Branche. Als einer der weltweit und in Deutschland größten Anbieter berät die Partnerschaft führende Unternehmen und Organisationen dabei, Schlüsselpositionen mit geeigneten Persönlichkeiten zu besetzen. Spencer Stuart unterstützt Klienten zudem mit Dienstleistungen im Bereich Leadership Advisory bei der Potenzial- und Talententwicklung, bei Kulturfragen sowie beim Aufbau und der Weiterentwicklung von Aufsichtsgremien. Besondere Expertise hat Spencer Stuart bei der Begleitung unternehmenskritischer Entscheidungen auf höchster Ebene, in Nachfolge- und Übernahmesituationen sowie bei strategischen Prozessen und Veränderungsphasen. Das Unternehmen ist weltweit mit mehr als 60 Büros in über 30 Ländern vertreten und deckt mit mehr als 50 Practices unterschiedlichen Industrien und Funktionen mit vertiefter Kompetenz ab.
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